Honda CBR 900 RR Fireblade 2002



Fahrbericht zur neuen Honda CBR Fireblade RR
Stand Juni 2002

Text: Ralf Kistner     
Bilder: Ralf Kistner, Tango-Turtle

Wer als Biker mit wachen Augen durch die Lande fährt, entdeckt möglicherweise ein Phänomen, das mehr oder weniger bisher dem VW Käfer zugeordnet wurde. Man kann innerhalb kurzer Zeit Mitgliedern einer Familie aus sechs Generationen begegnen. So wie der Käfer immer weiter verbessert und modifiziert wurde, bekam die Honda CBR Fireblade RR nun zum sechsten Mal eine intensive Modellpflege, die weit mehr als ein Facelifting beinhaltete.
Der Fireblade-Projektleiter Tadao Baba schrieb sich auch diesmal wieder ein Maximum an Fahrfreude auf die Fahne. Dieser Fahrbericht soll der neuesten Baba-Kreation auf den Zahn fühlen.

Es ist heiß, als ich in Offenbach bei Honda Deutschland ankomme. Einer der heißen Tage Ende Juni, wo man die protektorenbewehrte Lederhose gerne gegen das badewettertaugliche Beinkleid tauschen würde, hätte man nicht gewisse Pflichten zu erfüllen. Die 2002er Fireblade wartet auf mich, um mir für zwei Wochen ihr Feuer zu zeigen.
Ich komme mit meiner Sozia, die durch Presseberichte auch schon auf die Fireblade neugierig geworden ist und nun den Soziussitz auf der Rückfahrt testen möchte.

Nach der Übergabe verräume ich meine BMW und steige auf die Honda auf. Mir fällt gleich auf, dass die durch einen um zehn Millimeter verkürzten Tank stärker vorderradorientierte Sitzposition deutlich sportlicher wirkt. Der Kniewinkel ist gut auszuhalten für einen Tourenfahrer wie mich. Das passt und lässt sicherlich längere Strecken ohne spitze Knie zu.
Ein Druck auf den Startknopf. Die Blade läuft automatisch im Kaltstartmodus mit erhöhter Drehzahl sauber und rund. Sie schnurrt richtig. Die Gasannahme beim kleinen Gasspiel vorm Losfahren lässt vermuten, dass sie satt am Gas hängen wird und sehr spontan auf jede Bewegung der Gasrolle reagiert.

Meine Sozia nimmt hinten Platz. Sie sitzt stark nach vorn orientiert. Für sie geht der Kniewinkel einigermaßen in Ordnung. Also ist gesichert, dass auch sie ohne jammern zu müssen ihren Spaß haben kann.

Raus auf die Frankfurter Autobahn Richtung Stockstadt. Endlich ist die 120 Kaemha-Begrenzung aufgehoben. Im sechsten Gang ziehe ich den Hahn auf. Die Blade antwortet unvermittelt und setzt zum Spurt nach vorne an. Mir fällt auf, dass im Vergleich zur "alten" Blade der Anzug wesentlich kräftiger ausfällt, was sicher auf den auf 954 ccm angewachsenen Hubraum zurückzuführen ist. Ohne Leistungsloch wächst der Durchzug linear an und gebietet meine Sozia, sich ordentlich fest zu halten.

Ich merke, wie ich unter dem Helm mein Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht bekomme. Ich spüre, wie sich bei dieser Kraftentfaltung richtige Lustgefühle aufbauen, und ich die Blade weiter ausreizen mag. Leider wird die Fahrt zu einer Stopp-and-Go-Veranstaltung, wobei die Stoppphasen sich so um die 150 km/h, die Go-Phasen um die 240 km/h bewegen.
Dann, als wir mit ca. 200 km/h auf der linken Spur vor uns "hindümpeln" (muss ich so schreiben, da die wahre Geschwindigkeit mit der Fireblade in dem Ausmaß subjektiv kaum spürbar ist), sehe ich im Rückspiegel einen 3er BMW mit Alpinazeichen im Grill. Genau erkennbar, da er mit seinem Kühler eigentlich schon neben den Stiefeln von meiner Sozia ist. Drei kurze Klicks mit dem Schalthebel nach unten und ein beherzter Dreh am Gasgriff stellt den ordnungsgemäßen Sicherheitsabstand binnen Sekunden wieder her. Die Blade rennt los wie vom Teufel gehetzt. Über 9000 Umin ist bis zum Begrenzer wirklich die Hölle los. Meine Sozia zieht ihren Griff fester und enger, um nicht verloren zu gehen - und jubilierte aus ihrem Helm, sichtlich von echter Beschleunigungsfreude ergriffen.

Wie kommt das, dass die neue Blade wie vom Leibhaftigen gebissen losspurten kann?
Zuerst schafft sie das dadurch, dass nun alle 150 Pferde versammelt wie wild nach Auslauf drängen. Ein weiterer Spurtfaktor sind die 168 kg Trockengewicht. Vollgetankt und fahrfertig bringt die Blade damit zwei Kilo weniger auf die Waage als eine Suzi GSX-R 1000.
Die Einspritzanlage erfuhr eine Überarbeitung. Sie reagiert sehr spontan und ist fein ansprechbar. Nur unter 3000 Umin hat die Blade keine Lust zu arbeiten. Erreicht die Drehzahlnadel die 3000er Marke, zuckt sie plötzlich nach vorne und geht dann schnurstracks ihrem Drehzahlzenit entgegen. Dabei sind gute 104 Nm bei 9500 Umin erreicht.

Im Cockpit erwartet den Bladerunner eine für heutige Zeit normale Instrumentierung. Der Drehzahlmesser sitzt mittig. Links davon informiert ein übersichtliches LCD-Display über die zum Biken wichtigen Daten. Nur die Tankanzeige fehlt. Da informiert das Reservelämpchen darüber, dass demnächst eine Zapfsäule anzusteuern ist. Normalbenzin reicht der Honda dabei vollkommen aus. Das find' ich klasse, da es zeigt, dass für wirklich satte Motorleistungen nicht mehr unbedingt Super getankt werden müssen. Je nach Fahrweise sind jedoch mit 6,5 bis zu 10 Litern auf 100 km zu rechnen.

Die Blade leitet ihre Abgase durch einen geregelten Kat. Schade, dass der Endtopf aus Titan so bullig ausfallen musste. Der passt sich leider der ansonsten schlanken Linie der Fireblade gar nicht an und steht seitlich neben dem Motorrad, als ob man zum Ofenrohrtransport unterwegs ist.

Zurück auf die Straße. Endlich nun Landstraße. Immer noch zu zweit auf dem Heimweg ins Ries durchfahren wir kleine und kurvige Odenwaldstrecken, wedeln über die gewundenen Jagsttalpisten, um dann schließlich am Abend in Nördlingen gut gelaunt abzusteigen.
Selbst zu zweit ist die neue Fireblade äußerst handlich zu bewegen. Ihr Fahrwerk schluckt, selbst in Schräglage, feine Unebenheiten weg und lässt die Fuhre dennoch nicht instabil wirken. Im Gegenteil. Die Blade behält ihre vorgegebene Linie sauber und wie von Schienen geleitet.
Sicher auch mit ein Verdienst der extra für die Fireblade entwickelten Bridgestone BT 012 - Bereifung. Leider sind sie etwas längslinienempfindlich und neigen zu Aufstellmoment beim Anbremsen in Schräglage. Andererseits vermitteln sie durch ihre Eigendämpfung einen Hauch von Komfort. Die Haftung ist bis in den Randbereich exzellent durch eine weiche Gummimischung, der Verschleiß jedoch leider recht hoch, wie ich finde. Unter den Testbedingungen hielt der erste Hinterreifen gerade mal 1300 km. Aber das ist sicher der Preis für diesen wirklich Superreifen.

Auf meiner Hausstrecke ist dann die Stunde der Wahrheit angesagt. Über wellige Sträßlein ziehe ich die Blade im zweiten und dritten Gang kurz bis an den roten Bereich. Das Vorderrad wird leicht - und da ist er schon, von dem alle schreiben und berichten, über den diskutiert wird, der manchmal Kaufentscheidungen mit beeinflusst: der Kickback. Der Lenker schlägt heftig aus, beruhigt sich jedoch gleich wieder, als ich kurz vom Gas gehe.
Ich denke, dass man bei Honda diese Diskussion sicherlich schnell beenden kann, wenn man serienmäßig einen Lenkungsdämpfer installiert. Warum soll eine Maschine, die eigentlich in sich perfekt ist, mit einem solchen Makel behaftet sein?
Ich muss jedoch hinzufügen, dass dieser Kickback nur dann auftritt, wenn man die Blade richtig ans Gas nimmt und schon rennstreckenmäßig unterwegs ist. Ich konnte mich daran gewöhnen und schaffte den Rest der Zeit mit der Blade sehr zügig unterwegs zu sein ohne nennenswerte Kickbackeinlagen.

Ein Traum ist die Bremsanlage. Die Vierkolbenanlage mit 330er Scheiben vorne lassen feine Dosierungen genauso zu wie ankermäßige Vollbremsungen. Alles mit zwei Fingern. Das macht eine Heidenspaß, die Blade so richtig durch kurvige Landstraßen zu treiben. Ein Gefühl von Sicherheit, das frei macht, um den Fahrspaß auf der ganzen Linie zu genießen.

Ein paar Worte zu den Veränderungen beim neuen Fireblade-Modell:
Die Hubraumvergrößerung erreichte man durch die Vergrößerung der Bohrung um einen Millimeter. Die geänderte Kurbelwelle bewegt sich in einem ebenfalls modifizierten Motorgehäuse.
Für ausreichend Brennraumfüllung sorgen die um zwei Millimeter auf 42 mm gewachsenen Drosselklappen mit einer optimierten Steuerelektronik.
Man verbaute einen leistungsfähigeren Prozessor. Vergrößerte Speicherkapazität in Verbindung mit modifizierten Kennfeldern für Zündung und Einspritzung verantworten direktere Gasgriffreaktionen. Die Auspuffanlage besteht komplett aus Titan, was die Blade um glatte drei Kilogramm erleichterte.
Das Heck kann durch eine geänderte Stoßdämpferaufnahme in der Höhe verstellt werden. Die Schwinge, eine Variante der NSR-Werksmaschinen, liefert bei geringem Gewicht hohe Stabilität, leichtere Felgen nochmals Gewichtseinsparung.

Eindeutig erkennbar und spürbar sind die Änderungen, die motorseitig vorgenommen wurden. Die neue Blade kann, wie schon mehrere Vergleichstest in der Supersportklasse zeigten, ihren Platz gegen die Konkurenz halten mit der Option auf sehr gute Alltagstauglichkeit, sauberem Handling und echten Rennstreckenqualitäten. Die Kickbackreaktionen muss man selbst durch den Anbau eines Lenkungsdämpfers eliminieren. Bleibt zu hoffen, dass Honda umdenkt und dieses nützliche Teil in Zukunft zur Serienausstattung einer Fireblade zählen lässt.

Fazit:
Die neue Fireblade ist nicht nur durch optische Veränderungen besser geworden, sondern vor allem durch technische. Sie stellt unter den Supersportlern in jedem Fall die alltagstaugliche Variante dar, obwohl ihre Fahrwerte von denen der Konkurenz nicht weit abweichen. Vorbildliches Handling, erstklassige Fahrstabilität und ein Motor, der über jeden Zweifel erhaben ist, bringen Fahrspaß in jede Fahrsituation. Lediglich der Kickback bleibt zu beklagen. Zudem sollte man aufgrund der direkten und sehr spontanen Gasannahme auf nasser Straße Vorsicht walten lassen. Nicht selten bringt man quasi "unabsichtlich" das Hinterrad zum Durchdrehen.
Wer also 12.590 Euro + Nebenkosten in ein Fungerät erster Güteklasse in vorzüglicher Verarbeitungsqualität investieren möchte, sollte die neue Fireblade in jedem Fall mit in die engere Auswahl nehmen.