Vergleich BMW R 1200 GS vs. R 1200 GS Adventure (Modelljahr 2008)



GS-Treffen

Vergleich BMW R 1200 GS vs. R 1200 GS Adventure
(Stand: 07/2008)

Text: Ralf Kistner
Fotos: Ralf Kistner, Gitte Schöllhorn


GS ist nicht gleich GS – oder doch? Im Prinzip ja, im Detail weisen die normale R 1200 GS und die R 1200 GS Adventure jedoch einige Unterschiede auf.

Aber zuerst möchte ich auf die Modifikationen eingehen, die in die 2008er Modellpalette einflossen. Schließlich hatte man sich in München daran gemacht, die beliebteste Reiseenduro (laut Verkaufsstatistiken) zu verbessern.

Konkret wurden folgende Änderungen an beiden neuen Modellen vollzogen:
  • Man verbaute ein geändertes Getriebe. Änderungen waren die größeren Lager, der größere Wellenabstand (dadurch ist nun wieder optional ein kürzerer 1. Gang möglich – ein Vorteil bei Offroadeinsätzen) und eine geänderte kürzere Gangübersetzung. Zudem fallen die Schaltgeräusche merklich leiser aus.
  • Motormodifikationen mit Leistungsanhebung auf 105 PS und 200 U/min mehr Drehzahl
  • Die Alugussräder erhielten ein neues Design.
  • Die Sekundärübersetzung wurde verkürzt.
  • Das hintere Federbein wurde in der Druckstufe deutlich straffer abgestimmt.
  • Neu konzipierte Lenkerklemmböcke, die durch Drehung den Lenkerabstand zum Fahrer einstellbar machen.
  • Neugestaltung der Gabelbrücke
  • Lenker mit modifizierter Lenkerkröpfung
  • Die Sitzbank ist im vorderen Bereich höher aufgepolstert.
  • Tankflanken und unter den Scheinwerfern nun mit Metallabdeckungen
  • Erhöhte Lichtmaschinenleistung (nun 720 W ggü. früher 600 W)
  • LED-Rückleuchte

Die Unterschiede zwischen der Basis-GS und der GS-Adventure zeigen sich …
  • Im Tankvolumen: Während sich die GS mit 20 Litern auf die Reise begibt, hat die GS-Adventure vollgetankt schon 33 Liter dabei.
  • Die Adventure ist mit massiven Sturz- und Motorschutzbügeln ausgestattet.
  • Statt Guss- hat die Adventure Speichenräder mit Kreuzspeichung
  • Die Adventure verbucht 2 cm längere Federwege (und somit auch 2 cm mehr Sitzhöhe);
  • Federwege konkret: GS … v/h 190/200 mm; GS-Adventure v/h 210/220 mm
  • Lenkkopfwinkel GS: 64,3 Grad; GS-Adventure: 62,9 Grad
  • Die Adventure kommt mit breiteren Offroad-Fußrasten daher
  • Das Windschild fällt bei der Adventure höher und breiter aus.
  • Für Offroad-Einsätze hat die GS-Adventure sehr stabile und wirksame Handschützer verbaut, die nicht nur vor Ästen, sondern auch sehr gut vor Wind und Regen schützen.

Die für mich wichtigste Neuerung bei beiden Modellen ist das elektronische System zur Fahrwerkseinstellung – ESA genannt. Dieses System hat sich erstmalig seit 2004 in der BMW K 1200 S, dann auch in vielen anderen Modellen bewährt. Für mich eins der wichtigsten Zubehörteile, die BMW anbietet. Per Knopfdruck stelle ich Federvorspannung im Stand, die Dämpfungsstufe sogar während der Fahrt ein.
Für die GS-Modelle erweiterte man das System um den Offroadmodus, der zusätzlich nun auch das vordere Federbein in der Federvorspannung verstellbar macht und zusätzliche 2 cm Federweg bringt.

Auf beiden GS-Modellen fand ich für jede Fahrsituation auf Straße oder auch im Gelände die richtige Einstellung. Beeindrucken, wie das Fahrwerk mühelos nahezu perfekt auf die Gegebenheiten des Untergrundes, aber auch auf Beladungs- und Belastungssituationen abgestimmt werden kann. Selbst groben Geländesprüngen widersteht das Fahrwerk der Basis-GS ohne viel Mucken.
Andererseits wirkt das Fahrwerk GS-typisch komfortabel, schluckt dank der wegeabhängigen Dämpfung am Hinterrad so ziemlich alles an Frechheiten weg, was uns Steuerzahlern von den Meistern deutscher Straßenbelagsflickkunst geboten wird. Auf der Adventure fühle ich mich wie auf einer Sänfte. Mit ihr schwebe ich über die Straßen, habe jedoch auch sehr wenig Rückmeldung von den Rädern. Da werden lange Etappen zum absoluten Genuss. Da ist Durchfahren angesagt – bis der Tank nach ca. 550 – 650 Kilometern leer ist. Die GS hingegen möchte bereits nach knapp 400 km betankt werden.

Für die Reise findet man für die GS-Modelle genügend Zubehör im eigenen Haus. Im Volumen verstellbare Koffer und Topcase für die normale GS, massive schwere Aluboxen für die Adventure. Beide Modelle habe ich mit den hauseigenen Gepäcksystemen gefahren.
Das Koffersystem mit Volumeneinstellung gefällt mir auf Dauer deutlich besser. Nicht immer benötige ich das gesamte Volumen der Koffer. Bei kleinem Gepäck reicht der reduzierte Koffer aus. Das spart Sprit, da die vollvolumigen Koffer oder auch die ausladenden Aluboxen deutlich im Wind stehen. Ich bekomme das durch eine schneller schwindende Tankanzeige visualisiert.

Der Motor ist beiden Maschinen gleich. Mit nun 105 PS und einem Drehmoment von max. 119 NM bei 5500 U/min kommt sie auf dem Papier stärker daher als das 2007er Modell. In der Praxis kann ich die erhöhte Leistung jedoch erst ab ca. 5500 U/min spüren. Hier prescht sie dem alten Modell spürbar davon.
Die Motorabstimmung erfordert leider Nacharbeit. Bei beiden Modellen habe ich das Gefühl, dass ich immer wieder mit unterschiedlicher Leistung unterwegs bin. Das bestätigen auch Testberichte von Pressekollegen.
Vor allem spüre ich die Unterschiede auf der GS-Adventure. Mit den Aluboxen bestückt und etwas Gepäck brauche ich im Schwarzwald immer wieder Drehzahl, damit sie nach Kehren aus den Puschen kommt. Vor allem im Bereich um 3500 U/min spüre ich ein deutliches Leistungsloch, welches die normale GS durch ihr geringeres Gewicht fast unbemerkt kaschiert. Die Adventure hingegen fällt mir beim Beschleunigen fast zusammen, sodass ich runterschalten muss. Auch im oberen Drehzahlbereich zeigt sie die für die 1200er Boxermotoren typische Leistungsdelle. Im 6. Gang aus dem Bereich schnell mal Beschleunigen is nich. Auch hier muss ich wieder runterschalten, um in den saftigen Drehzahlbereich über 6000 U/min zu kommen. Dann hingegen geht die Post ab. Dann bricht der Boxer los wie vom Leibhaftigen gejagt und rennt hart in den Begrenzer.
Mir wäre eine liniearere Leistungsentfaltung verteilt auf das komplette Drehzahlband bei der beladenen Adventure lieber – ich könnte mir viel Schaltarbeit sparen. Die normale R 1200 GS verbirgt die klar fühlbaren Leistungsdellen leidlich besser. Erst ein Powercommander an der GS eines Bekannten kann die beiden Dellen deutlich minimieren. Ich frage mich, warum die GS nicht ab Werk ohne die Leistungsdellen ausgeliefert wird? Schließlich zeigen Eingriffe von Fremdherstellern, dass es möglich ist, den 1200er Boxer im gesamten Drehzahlband sauber laufen zu lassen.

Dennoch kann der Motor Spaß bereiten, wenn ich ihn im richtigen Drehzahlbereich halte. Und er kann Spurts hinlegen, dass selbst Supersportler zu tun haben, dass sie irgendwie noch die Nase vorne haben.

Beim Handling erwarte ich Leichtigkeit und leite beide Maschinen über meine Teststrecken. Schnelle Passagen meistern beide ohne Einschränkung sicher mit gutem Geradeauslauf. Auch schnelle Kurven in tiefen Schräglagen bringt mit beiden satt Spaß. Die Adventure wirkt in allen Situationen leicht zäher, erfordert etwas mehr Kraft zum Einlenken. Insgesamt jedoch bewegen sich beide in Sachen Handling auf Referenzniveau. Die aufrechte Sitzposition, der breite Lenker, das Fahrwerksgesamtkonzept – das bedingt ungetrübten Fahrspaß in engem wie weitem Geläuf. Und wenn der Untergrund schotterig wird, tut das auch keinen Abbruch. Eine GS kann das. Derbere Geländeeinlagen fordern eine starke Hand am Lenker und den Mut, das hohe GS-Gewicht zu ignorieren und sich zu trauen. Dann können beide GS-Modelle eingeschränkt auch als geländegängig tituliert werden. Lieber bewege ich jedoch die normale R 1200 GS abseits vom Asphalt. Das geringere Gewicht und die um 2 cm geringere Sitzhöhe schaffen bei mir mehr Vertrauen, denn die Adventure kann in manchen Situationen wirklich hoch sein, sodass ich mit meinen 182 cm Körperhöhe gerade noch mit dem Fußballen auf den Boden komme.

Beide Modelle kommen mit starken teilintegralen Bremsen daher. Ihre Wirkung und Verzögerungsleistung ist über jeden Zweifel erhaben. Die Dosierbarkeit bleibt auf mittlerem Niveau, der Druckpunkt wirkt teigig.
Das optionale ABS verrichtet seinen Dienst gut. Die Regelintervalle sind relativ kurz und deutlich spürbar. Der Regelbereich passt im Vergleich zu früheren ABS-Systemen von BMW wesentlich besser. Insgesamt ist das ABS inzwischen richtig gut in Wirkung und Leistung geworden.
Abstriche gibt es beim Überschlagschutz, da beide GS-Modelle bei Testbremsungen äußerst ansehnliche Stoppies mit weit abgehobenem Hinterrad produzieren. Andererseits habe ich auch das Phänomen, dass die Anlage – auch wie bei früheren ABS-Versionen – kurz vor dem Stillstand die Bremse noch mal öffnet und mich ein paar Meter ungebremst weiterrollen lässt. Schade, denn das sind Sicherheitsrisiken, die mitfahren und nicht sein müssen.
Meine Test-Adventure weist Bremsrubbeln auf, das auf verzogene Bremsscheiben zurückzuführen ist. Meiner Recherche nach ein bekanntes Problem bei den 1200er GS-Modellen seit deren Erscheinen, das anscheinend jedoch noch nicht gelöst ist. Ein Bekannter von mir hat an seiner Adventure innerhalb von 50000 km inzwischen bereits den 4. Satz Bremsscheiben verbaut bekommen.

Für Fernfahrten eignen sich beide GS-Modelle vorzüglich. Die Adventure kommt jedoch mit deutlich spürbarerem Komfort daher.
Der Windschutz macht seinem Namen alle Ehre. Hinter der hohen und breiten Scheibe bin ich wirklich vor Wind und Wetter geschützt. Die kleinere Scheibe der R 1200 GS hingegen erzeugt unangenehme Verwirbelungen und Geräusche am Helm. Wahrscheinlich sitze ich bei meiner Größe mit dem Kopf genau im Windstromabrissbereich. Auch die Verstellung der Neigung bringt keine Abhilfe, sodass ich mich dazu entscheide, die Scheibe abzubauen und ohne zu fahren. So habe ich keinerlei Verwirbelungen am Helm und kann die GS mit ihren Vorzügen genießen. Diese Eigenart der Scheibe tritt anscheinend jedoch nur bei bestimmter Körpergröße auf, denn ich kenne sehr viele Fahrer, die auf ihrer 1200er GS diese Probleme nicht haben.

Ich muss mich mit der GS Adventure nicht so oft um das Tanken kümmern. Der riesige Tank mit seinen bauchigen Flanken ermöglicht sehr weite Etappen. Zudem bieten die Flanken einen angenehmen Wetterschutz.

Fazit:
Welche die bessere GS ist, kann ich nicht sagen. Das ist Geschmackssache, liegt im Auge des Betrachters und ist abhängig vom Einsatzzweck.

Fakt ist, dass beide Modelle der BMW R 1200 GS ideale Allroundmotorräder darstellen. Ich bin mit beiden sehr schnell auf meinen Hausstreckenritten, fahre mit beiden entspannt weite Strecken und freue mich über ein gewisses Maß an Geländetauglichkeit. Letzteres wird selbstverständlich durch das hohe Gewicht eingeschränkt. Auch wenn die Adventure nach Abenteuer aussieht, würde ich mit ihr nicht unbedingt einen Wüstentrip machen. Da würde ich eher die normale GS nehmen.
Andererseits kann ich weite Straßenstrecken nicht komfortabler hinter mich bringen als mit der BMW R 1200 GS Adventure.
Ich würde der GS-Adventure das Prädikat „Komfortabelste Tourenmaschine“ geben, der GS das Prädikat „Tourenmaschine mit Allroundeigenschaften auf Referenzniveau“.

Und wenn ich mir eine GS kaufen würde, wäre es die normale R 1200 GS mit dem Windschild, den Handschützern und dem Fahrwerk der Adventure.