Cagiva Raptor
Fahrbericht Cagiva Raptor
Text/Fotos: Ralf Kistner
Saurier haben etwas archaisches. Die halbe Menschheit ist fasziniert von den längst verstorbenen Riesenlebewesen, die monsterstark, mit nussgroßem Hirn versehen, ihrem Instinkt nachgingen. "Fressen oder gefressen werden", war das Motto der Zeit. Die Bissigsten, Hungrigsten und Stärksten überlebten bis zu ihrem jähen Ende, das bis heute nicht wirklich erforscht ist.
Einer überlebte im Untergrund. Scheinbar plötzlich und aus dem dunklen Nichts erschien er und präsentierte sich im Winter zähnefletschend der breiten Masse. Jedem Betrachter wurde unmissverständlich deutlich, dass es nur einen geben sollte, nur einen, der nackt und urgewaltig die Hatz auf dem Asphalt nach allem, was darauf herum kreucht und fleucht, beginnen wird.Gespickt mit spitzen Zähnen und harten Schuppen zeigt er sich aggressiv und sucht den Bändiger, der ihm seine Grenzen setzen wird. Der Raptor von Cagiva wird es den Monstern zeigen, wer der wahre Meister der Landstraße sein wird.
Ich hatte das Vergnügen, eine Version der Raptor vom Race Point in Nördlingen für einen sehr ausgedehnten Ritt zu bekommen. Die Maschine wirkte zuerst mal sehr klein auf mich. Mit meinen 1,82 Metern Körpergröße musste ich meine Knie schon ganz schön falten, um meinen Allerwertesten auf der gut gepolsterten Sitzbank nieder zu lassen. Trotz Riesenmuskeln scheint sie sich noch vor größeren Dompteuren zu fürchten. Mit meiner Dreifaltigkeit an Knieen und Bauch war der Sitz auf der Bestie nicht unbequem. Der Lenker hat eine angenehme Breite. Die Hebelein sind standard, die Instrumente eckig und stachelig. Bis auf die Uhrzeit und den aktuellen Stand im Tank wurde ich über alle wichtigen Vorkommnisse im Seelenleben des Beißers informiert.
Zündung an, Chokehebel etwas ziehen, Druck auf den Starkknopf. V2 legt sofort los, untermalt von sattem und kraftvollem Bum-burum-burum aus den 2 schön geformten Endrohren. Der Motor läuft gleich rund. Ein echter Jäger. Sofort fit und bereit, sich adrenalingeschwängert auf die Jagd zu machen. So soll es sein mit diesen Spaßgeräten.
Jeder kleine Dreh am Gas setzt einen unbändigen Vorwärtsdrang frei. Bis 6000 Umin geht ab Standgas schon das Treiben los. Ohne spürbare Anstrengung macht sich die Raptor auf die Suche nach Schalentieren aus Japan und den Monstern der Neuzeit. Aufgrund ihrer relativ kleinen Erscheinung wird sie unterschätzt bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie die 7000 Umin Marke überschreitet. Laut fauchend schnellt sie nach vorne mit explosionsartiger Leistungsentfaltung, um sich, auch z.T. wheeliehaft, an die Fährte der Gejagten zu setzen und sie schließlich nach ausdauernder Hatz einzuholen und in völliger Überraschung zu schlagen. Lediglich eine 130-PS-CBR konnte ihr ab 180 km/H entfliehen. Bis zu dieser Marke nahm sie die Raptor eher als Hindernis wahr. Eine wahre Freude für den Bändiger. Kaum ein Zeitpunkt, an dem die Leistung nicht ausreicht. Keine noch so verkraterte Asphaltlandschaft, die dem Fahrwerk Grenzen setzt. Obwohl vorne wie hinten die Dämpfung nicht einstellbar ist, kann die Grundeinstellung ab Werk als gelungen bezeichnet werden. Es handelt sich wohl um einen Glücksgriff der Evolution.
Probiert es selbst aus. Das Fahrwerk ist eine Schau und über jeden Zweifel erhaben. Klasse, was da bei Cagiva entwickelt wurde. Direkt und geradlinig läßt sich die Raptor spielerisch einlenken und in engen wie weiten Kurven bewegen. Auch Bodenwellen um die 200 kmH in Schräglage bringen sie nicht von der Linie ab. Ich hatte stehts ein sicheres Gefühl. Zudem besitzt es für welligen Belag ein gutes Schluckvermögen.
Mit dem Gas war beim druckvollen Beschleunigen aus mittleren bis heftigen Schräglagen auch im 2. und 3. Gang Vorsicht angesagt. Die kurze Übersetzung und der mächtige Dampf des V-Twins von Suzuki überforderten in genannten Situationen die Reifenhaftung gerne und schnell. Aufgrund der lästigen Lastwechselreaktionen, für die das Triebwerk bekannt ist, war die Feindosierung beim Gas nicht immer einfach. Das Schalten in höhere Gänge nahm der Bestie zwar etwas von ihrer Spurtkraft, machte das Fahren aber wesentlich angenehmer. Die Bremsen der Raptor beißen in gleichem Maße zu. Fein dosierbar mit klarem Druckpunkt (Stahlflexleitungen serienmäßig!) vermitteln sie, ebenso wie das Fahrwerk, Sicherheit und garantieren kurze Bremswege. Angenehm auch die einstellbare Hebelei für die Vorderbremse.
Was macht Raptor nachts? Jagen. Mit Licht eben. Das ist wunder bar hell und breit monochrom leuchtend. Flotte Nachtfahrten sind garantiert. Wer nicht alleine jagen möchte, nimmt einen Sozius mit. Aber achtet auf die Größe, denn die geforderte Kniefaltung ist sehr groß und an der Grenze zum Unangenehmen. Für die Tagestour mit Pausen solltet Ihr Streck- und Dehnübungen parat haben. Der Sitz hinten ist schmal und nicht gerade komfortabel für das Soziushinterteil. Positiv dagegen der rutschhemmende Bezug. Da bleibt beim Bremsen der Sozius auch ohne Haltegriff da, wo er hingehört.
Um das Urvieh im optimalen Sprungbereich zu halten, ist das 6-Gang-Getriebe wunderbar abgestuft. Kurze und präzise Schaltwege erleichtern dem linken Fuß die Arbeit. Der Leerlauf war ohne Probleme auffindbar.
Wer denkt, dass der bissige Kraftprotz zur Erhaltung seiner Power Sondernahrung benötigt, liegt falsch. Normalsprit reicht dem Vieh aus, den es aber bei forscher Gangart nicht gerade sparsam in sich hineinsäuft. 8,5 Liter musste ich ihr bei flotter Fahrt mindestens geben, um sie zu weiterer Hatz zu überreden. Schade, dass sie für ihre Ruhephasen nur einbeinig stehen kann,denn der Hauptständer wurde eingespart.
Letztlich muss ich unbedingt noch erwähnen, dass die Verarbeitung der Raptor gediegen wirkt. Sie wird das Vieh befähigen, auch während den kommenden Phasen der Zweiradevolution zu jagen. Die Raptor ist ein Bike mit garantiert hohem Spaßfaktor. Wer gerne feilen und jagen geht, wird mit dem bissigen Urvieh seine helle Freude haben - und das zu einem in dieser Sparte relativ günstigen Preis.