Benelli 900 Tornado - Italienische Diva



Fahrtest mit der Benelli Tornado 900 Biposto Tre Novocento
(Stand: 14.07.2003)
Text: Ralf Kistner
Bilder: Ralf Kistner

Ich bin heute etwas aufgeregt. Irgendwie ist der Tag heute anders als die anderen. Noch kann ich es nicht auf den Punkt bringen, was mit mir los ist. Als der Tag schließlich immer mehr Richtung Abend wandert, steigt meine Unruhe und ich bekomme immer wieder einen leichten Tornado im Magen. Es kribbelt wohlig und ich bin in Vorfreude auf das heutige Ereignis: am Abend habe ich ein Date mit der Benelli Tornado 900, die ich für ein paar Tage zu mir nach Hause holen darf. Lange musste ich warten, bis ich die Göttliche nun endlich treffen kann. Und es ist wie Liebe auf den ersten Blick, als ich sie sehe.

Man sieht ihr an, dass sie weiß, dass sie aus der Menge heraussticht. Sie weiß, dass sie schön ist. Sie wirkt selbstbewusst und wach wie eine Raubkatze. Und sie lächelt mich verschmitzt an mit ihren Kühlerschlitzen neben der Leuchteinheit vorne.

Genauso begeistert zeigt sich Reinhard Bergmann vom InTeam in Bechhofen, der mir dankenswerterweise das Date vermitteln kann und die Maschine zur Testfahrt bereitstellt. Nicht, dass er nur eine davon bei sich hat. Derzeit steht neben der Vorführmaschine eine Gruppe von drei nagelneuen Tornados in zwei Farbvarianten bereit, um zukünftige Liebhaber zu beglücken. Und wenn er von seinen Erfahrungen mit der Diva erzählt, beginnen seine Augen zu glänzen, seine Stimme wirkt sonderbar belegt.

Was macht den Zauber aus, den diese Maschine zu versprühen imstande ist?
Da spielt die Optik schon eine große Rolle. Wer diese bezaubernde, vor Extravaganz strotzende Schönheit nicht sieht, ist blind oder ein resoluter Motorradverneiner. Man muss sich nur drauf einlassen und während eines Rundgangs um die Maschine das Auge wandern lassen. Es wird sich immer wieder an Details fangen. So viel Liebe zum Detail im Design eines Motorrades ist wahrlich selten. Überall haben die Designer Lichtkanten kreiert, die das Auge zum nächsten Detail führen. Dann wieder scharfe Ecken und Kanten. Alles in allem ein spannungsgeladenes Gesamtbild mit Eyecatchern rundherum. Ich kann meine Augen kaum von ihr lassen. Zudem waren erstklassige Farbmischer am Werk. Das einzigartige Grün harmoniert wunderbar mit dem Silbermetallic und Schwarz. Diese Komposition macht die Trecento zum Hingucker.

Klassisch italienisch sitzt das Zündschloss direkt an der Tankvorderseite. Selbst der Schlüssel ist durchgestylt und einklappbar. Per Knopfdruck springt er aus der Plastikummantelung wie ein Klappmesser. Der Blick auf die gelb unterlegten Rundinstrumente wird umschmeichelt vom metallisch eingerahmten LCD-Instrument, das über vieles Übliche und noch viel mehr Auskunft gibt. Die Steuerung der Displaymodi geschieht direkt mit dem linken Zeigefinger an der Unterseite der linken Schaltereinheit. Vorbei also die kniffelige und nach vorn gebeugte Instrumentendrückerei, wenn man mal den Anzeigemodus ändern möchte. Und kommt man ins Dunkle, sind die Instrumente von sattem Blau beleuchtet. Auch das ein visueller Schmeichler.

Beim Einschalten der Zündung werden die Instrumente dem üblichen Selbstcheck unterworfen. Dann der Druck auf den Startknopf in freudiger Erwartung, die dreizylindrige Diva zum Leben zu erwecken. Fehlanzeige. Nichts tut sich. Ich probier es mit dem Ziehen des Kupplungsgriffes und drücke den Starter erneut. Sofort springt der Tripple an und erzeugt einen Klangteppich aus Motorsurren, Ansaugröcheln und mechanischen Arbeitsgeräuschen der Trockenkupplung. Auch hier versuche ich , das ganze analytisch zuzuordnen, doch das Gesamtbild der Geräuschkulisse kann und darf nicht getrennt werden. Das ist auch einmalig. Man stelle sich eine laufende Triumph mit verbauter Ducati-Kupplung und einer Airbox so groß wie ein Partyfass vor. Vorbei mit der Vernunft ist es dann bei den ersten kurzen Gasstößen. Die Tornado brüllt mich direkt an, ich solle sie nun endlich laufen lassen, damit wir zu einer leidenschaftlichen Einheit verschmelzen können.

Ich folge der Aufforderung und führe sie hinaus. Ich erklimme 83 cm Sitzhöhe.Die Sitzposition lässt guten Knieschluss zu. Die Handgelenke werden überraschenderweise kaum belastet, die Knie sind nicht überspitzt. Nur die sitzseitige Tankspitze drückt mir etwas in meinen Waschbärbauch. Mit meinem Umfang passe ich genau in die Sitzmulde hinein. Hin- und herrutschen wird unmöglich. Erst fühle ich mich beengt, dann auf der Piste bin ich froh drum, da mir die Diva wie angegossen passt. Die Hatz kann beginnen. Doch zuerst rangieren, denn der typisch italienische Lenkeinschlag erzeugt den Wendekreis eines 40 Tonners mit aktiviertem Lenkradschloss.

Mit 898 ccm gehört die Tornado nicht in die aktuelle Topliga der Supersportbikes. Es ist auch gar nicht die Leistung, die sich bei den Ausfahrten in den Vordergrund schiebt. Sie ist so ausreichend vorhanden, um der Polizei genügend Gründe zu liefern, wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen die Pappe für immer sicherzustellen. Zwar erreicht sie trotz neuester Softwareaufspielung noch immer nicht präzise die angegebene Leistung von 136 PS, aber was macht's schon. Ich denke, dass knapp 130 immer abrufbar auf ihren Einsatz warten. Und das reicht doch, oder?

Die Tornado wirkt etwas lang übersetzt. So ist die anfängliche Euphorie gebremst bei den ersten Metern. Ich schalte bei 6000 Umin jeweils eine Stufe mit dem leichtgängigen 6-Gang-Getriebe höher. Irgendwie fehlt da was. Es ist eher Zärtlichkeit als Leidenschaft, obwohl ab 3500 Umin die Diva durch ihre 13 Liter große Airbox zu schreien beginnt. Ab 6000 Umin verändert sich das Schreien zu einem Fauchen, was mit gesteigerter Motorleistung einhergeht. Bei der Tornado ist die Lautstärke wirklich in direkte Beziehung mit ihrer abgegebenen Leistung zu setzen. Und sie faucht und wird immer wilder, um mich dann ab 9000 Umin bis weit in den roten Bereich des Drehzahlmessers hinein auf Wolke Nr. 7 zu begleiten. Sie lebt dabei, vibriert, schreit und rennt und rennt. Bis hinein in den vierten Gang spiele ich dieses Prozedere immer wieder durch und spüre die gegenseitige Verschmelzung der Leidenschaften hin zum Tiefflug durch fränkische Landschaften. Gangstufe 5 und 6 dienen eher der touristischen Fortbewegung.
Mein Blut kocht. Ich bin betört und kann nicht mehr von ihr weichen. Sie hat mich in ihrem Bann und wird mich auch nicht mehr loslassen.

An der Tankstelle, die ich nach 100 km ansteuere, zeigt sie durch den Zapfsäulenzähler, dass sie von nichts genug bekommen kann. 11,5 Liter Super sind der Grund, warum der Tankwart wahrscheinlich einer der guten Freunde von Tornadoeignern werden kann. Das bringt mich wieder auf den Boden. Sie ist eben eine echte Diva. Wie die Diven in Holywood gönnt sich die Tre Novocento gerne mal einen großen Schluck aus dem Fass. Ich führe das auf unser leidenschaftliches Tète à tète zurück, bei dem wir keine Kurve anbrennen ließen. Später begnügt sie sich mit immerhin "sparsamen" 9,6 Litern Kraftstoff, was bei einer Tankgröße von 20,5 Litern häufige Einkehrschwünge in Tankstellen verspricht. So gelobe ich Besserung und eine stark zurückgenommene Gashand.

Ohne Erfolg. Kaum ertönt nach dem Starten diese einnehmende Soundkomposition in mein Ohr, ist es auch schon wieder vorbei mit meinem Vorsatz. Wir machen uns die Landstraßen zu eigen und genießen eng umschlungen Kurve um Kurve.

Das Fahrwerk wirkt dabei harmonisch und unauffällig. Fast schon weich schluckt es feine Wellen komplett weg, hält die Diva aber immer auf dem Kurs, den ich ihr auftrage. Man fühlt sich wie auf Schienen. Zielgenau kann sie eingelenkt werden und fällt dabei wie von selbst in die Schräglage, die es braucht, um den gewählten Radius zu durchfahren. Scharfes Anbremsen lässt das Hinterrad sehr leicht erscheinen. Die USD-Gabel schiebt sich stark zusammen, geht jedoch nie auf Block. Vorbildlich die Dämpfung vorne wie hinten. Ein leichtes Vorderrad bekommt die Benelli sehr selten - und wenn, dann ohne Kick back, das der auffällig im Blickfeld montierte Lenkungsdämpfer komplett eliminiert. Sie reagiert exakt auf jeden Lenkimpuls und läuft stoisch geradeaus. Das begeistert, wie sie sich agil, stabil und zielgenau gibt.

Anbremsen. Da mag es die Diva eher zärtlich. Am liebsten nur mit zwei Fingern. Denn die verbauten Vier-Kolbensättel vorne sind pro Kolben mit je einem Bremsbelag bestückt. Sie reagiert bei Berührungen des verstellbaren Bremshebels äußerst sensibel und presst schon bei leichtem Druck ihre Beläge so stark auf die 320er Scheiben, dass vehemente Verzögerungswerte jederzeit ermöglicht werden. Die Dosierung gelingt dabei in allen Abstufungen perfekt.
Und die Bremse hinten ist auch da. Nur so kann ich es umschreiben, denn sie wirkt alibihaft und nur leicht unterstützend, nicht aber effektiv. Ist besser so, denn bei einer richtig harten Bremsung wird ja das Hinterrad so leicht, dass ein Überbremsen des Hinterrades mit derben Folgen drohen kann.

Da ist es dann plötzlich. In einer Ortschaft beginnen unter oder besser hinter mir plötzlich die zwei auffällig gelben Lüfterräder zu laufen und blasen heiße Luft an die Verfolger. Das auffälligste Merkmal der Tornado. Der Kühler ist unter der Maschine direkt über dem Hinterrad montiert und wird über zwei Lüftungskanäle ab der Verkleidung mit Luft von vorne versorgt. Wird es zu heiß, ziehen die Lüfter im Heck überflüssige Hitze ab. Der Vorteil der Konstruktion liegt darin, dass durch den vor dem Motor verbleibenden Platz dieser weiter nach vorne rutschen konnte. Dadurch kommt mehr Gewicht auf das Vorderrad.

Auch mit der Rahmenkonstruktion ging man eigene Wege. Ab dem Lenkkopf ziehen sich beidseitig je zwei Chrommolybdänstahlrohre zu seitlichen Aluprofilen, mit denen sie verklebt und verschraubt sind. Daran schließt sich das angeschraubte Heck an. Der Rohrrahmen integriert den Motor vollständig.

Die Diva und ich fliegen noch viele Kilometer über Landstaßen jeder Gattung. Es sind die besonderen Momente in meinem Bikerleben, die wir gemeinsam erleben. So heißblütig sie sich auch gibt, so einfühlsam lässt sie sich auf alles ein, was ich mit ihr tun möchte.


Fazit:
Was soll ich da noch schreiben. Genau das war es, was ich so lange schon suchte. Diese Maschine zu fahren ist Motorradfahren in seiner schönsten Form. Selten, dass es heute noch solch emotional angehauchte Maschinen gibt. Selten, dass subjektiv gesehen ein Motorrad so gewaltig alle Sinne berührt und objektiv betrachtet als Fahrmaschine in Perfektion gelten kann.

Selten auch, dass man für ein Motorrad gut 17000.- Euro übrig haben muss, um es zu seinem Eigen zu machen. Selten auch, dass man für sein Geld eine echte Diva bekommt, die auch noch genau das tut, was man will.