BMW R 1100 S - Doppelherz



BMW R 1100 S - Test im Alltag und auf der Rennstrecke
(Stand: 08/2000)

Text: Ralf Kistner
Fotos: Ralf Kistner


Sie gilt als der stärkste Boxer aller Zeiten. Sie ist gespickt mit modernster Motoren- und Fahrwerkstechnik. Und sie ist eine BMW. Die R 1100 S hielt im Sommer 1998 ihren Einzug in die Sparte der sportlichen Straßenbikes für Fahrer, die eine flotte Linie auf dem Asphalt genauso mögen wie das Straßentouren im Urlaub oder am Wochenende.

Eine Testmaschine wurde mir freundlicherweise von der Presseabteilung der weiß-blauen Bikeschmiede in München zur Verfügung gestellt. Ziele meines Tests waren die Alltags- wie Tourentauglichkeit, aber auch die Möglichkeiten der Maschine auf der Rennstrecke fest zu stellen.

Über Geschmack kann bekanntermaßen gestritten werden. Die 1100 S wirkt von vorne sportlich, aber bedingt durch die ausladenden Zylinder breit in der Silhouette. Seitlich gesehen finde ich den gesamten "Plastikblock" vorne, d.h., die Verschalung von Tank bis zum asymetrischen Scheinwerfer, übertrieben klobig. Wunderschön dagegen die Linie, die die S von hinten vermittelt. Die Endrohre unter der Sitzbank, die fast schon erotisch anmutende Wespentaille, die vorne in die sich verbreitende und recht tief liegende Pastikfront übergehende Linie vermitteln eine seltene Eleganz in der Gesamtlinie.

Aber dies hier soll keine Abhandlung über Design und Styling der S werden. Vielmehr gilt es, die Fahreigenschaften der R 1100 S näher unter die Lupe zu nehmen.

An einem sonnigen Septembermorgen holte ich die Maschine in München ab. Viel Zeit brachte ich nicht mit, da ich ab Mittag meiner Hauptbeschäftigung nachgehen musste. So ging die Maschinenübergabe zügig vonstatten. Lediglich ein paar Dinge in die montierten Originalkoffer einräumen - und dann raus auf die Autobahn. Die Sitzposition passte gleich von Anfang an. Leicht nach vorne gebeugt konnte ich gemütlich auf der S meiner Dinge walten. Der Kniewinkel war eng, aber nicht unangenehm. Die Arme mussten nicht überlang gestreckt werden. Angenehm die pudelwarme Griffheizung, die das Fahren bei den doch kühlen Temperaturen leichter machte.

Auf der A 8 ließ ich die S dann gleich mal laufen. Der richtige Punch, den ich mir vom stärksten Serienboxer aller Zeiten erwartete, blieb jedoch aus. Dafür zog sie in einem breiten Drehzahlspektrum beständig und kraftvoll an, um dann bei guten 7000 Umin die Drehzahlgrenze durch geringere Drehfreude anzukündigen. Dennoch - der Vorschub machte Laune. Es muss nicht immer Punch sein. Realistisch gesehen hatte die S nämlich schon einen satten Vorschub, der halt nicht explosionsartig, sondern gentlemanlike sanft und geradlinig einsetzte, so dass die Tachonadel flott die 200er-Marke überschritt. Die Koffer brachten die S nicht aus der Ruhe bis zur Höchstgeschwindigkeit. Lobenswert - und zeitgemäß.Ich konnte auch auf Touren, bepackt mit schwerer Rolle und vollen Koffern, keine Unruhen feststellen. Nein, ich vergaß meine Ladung schlicht beim Fahren. Das spricht für sich. Das zeugt von Stabilität.

Hervorragend sind die einfachen Federverstellungen vorne wie hinten über je ein Handrad. Da tut man sich um die ideale Einstellung wirklich kümmern. Ein paar Mal gedreht und geklickt - und die Einstellung passt, die Maschine liegt sicher. Hand auf’s Herz, wer macht sich die Mühe bei konventioneller Schraubenverstellung, vor allem, wenn dazu noch Sitzbank etc. abgebaut werden müssen?

Supersicher die Bremsen. Vorne eine äußerst effektive 2-Finger-Bremse mit klarem Druckpunkt und feiner Dosierbarkeit, die auf der Rennstrecke ihre Wirkung behält, jedoch im Druckpunkt schwammig wird. Stahlflexleitungen hätten hier sicherlich dagegen wirken können. Der hintere Stopper steht den vorderen Doppelscheibenbremsen in nichts nach. Klasse auch das ABS, das in seiner Wirkung meiner Meinung nach jedoch etwas zu früh die Zangen öffnet.

Fast schon spielerisch das Handling der S. Mit nur leichtem Nachdruck kann sie in alle Kurvenradien gelegt werden. Schräglagen machen richtig Spaß. Die Sportkuh wirkt dabei stabil und linientreu. Die Teerdecke musste schon tiefe Täler und Hügel vorweisen, um dem Fahrwerk der S so richtig was zu arbeiten zu geben. Und selbst da war die Maschine nicht aus der Ruhe zu bringen. Das ist wirklich erste Sahne. Einerseits schluckte die S mit ihrer aufwendigen Tele- und Paralevertechnik die Unebenheiten weg, andererseits konnte ich mich auch auf der Rennstrecke von der Sportlichkeit des Fahrwerks überzeugen. Schade nur das meinem Empfinden nach frühzeitige Aufsetzen des Hauptständers, der vor allem in der Sachskurve des Hockenheimringes anfangs den Fahrspaß einschränkte und nach einigen Durchgängen zurechtgeschliffen war.

Für ihr Gewicht ließ sich die S mit der MEZ4-Bereifung äußerst zügig bewegen. In Grenzsitutionen hatte ich stets ein sicheres Gefühl und brauchte mich speedmäßig vor der Sportfahrerliga nicht verstecken. Motorseitig war die S auf der Rennstrecke jedoch etwas minderbemittelt. Hier hätte ich mir bei einigen Fights mehr Motorpower und Durchzug gewünscht. Für die sonstigen Einsätze reichte die Leistung leicht aus.

Ein Gedicht war das Getriebe. 6 Gänge, in ihrer Abstufung ideal auf den Drehmomentbereich des Boxers abgestimmt, unter-stützten jede Gangart, die ich einschlug. Gemütlich, zügig, rennmäßig - alles möglich. Kurze und präzise Schaltwege vergnügten mich so nebenher. Kein Verschalten, einfach nur “Klack” und weiter. Dann klappt’s auch auf dem Ring mit dem Mithalten. Der Verbrauch schwankte je nach Fahrweise. Auf der Landstraße bei zügigem Vorankommen schluckte die S zwischen 7 und 8 Litern Super. Bei verhaltener Landstraßengeschwindigkeit konnte sie auch gut unter die 7 Liter gebracht werden. Aber da fehlte mir dann der Spaß, den die S eindeutig vermitteln kann.10 Liter genau schluckte sie an der ständigen Leistungsgrenze auf dem Hockenheimring. Auch recht ordentlich, wie ich finde, denn sie musste 2 Tage lang schon wirklich ganz schön herhalten.

Nervig auf Tour war das zu kleine Spritfass, das nicht mehr als 18 Liter explosiver Triebflüssigkeit aufnimmt. Ein echter Negativpunkt, denn nach spätestens 180 km meldete sich die Reservelampe. Zwar waren dann noch gut 5 - 6 Liter im Tank, doch schränkte das meinen Tourenspaß manchmal ganz schön ein. Der Fahrerplatz ist für Leute ab 1.75 m Körperlänge ideal geeignet. Man sitzt gut und kann sich getrost auf Tour begeben. Der Hintern ist geschont. Die Beine müssen ab und zu gestreckt werden, die Belastung der Handgelenke ist kaum spürbar. Anders der Soziusplatz. Die sportliche Auslegung bedingt eine nach vorne orientierte Sitzhaltung, die meiner Sozia nicht lange gut tat.

Ein Sahnestück die kleine Scheibe. Es ging doch, dass die bayerischen Jungs im Windkanal eine Scheibe entwickelten, die wirksam den Wind abhält ohne am Helm zu verwirbeln. Und zudem passt sich die Scheibe optisch genial in die sportliche Gesamtlinie ein. Wirklich lobenswert, da nicht selbstverständlich.

Die BMW R 1100 S ist ein Allroundsportler, der überall eine gute Figur macht. Nach kurzer Eingewöhnungszeit auf die kardanspezifischen Fahreigenschaften ergreift der Fahrspaß eindeutig die Oberhand. Auch die Eigenart, dass der Telelever vorne beim Bremsen nicht wie gewohnt eintaucht, ändert daran nichts. Alles eine Sache der Gewöhnung. Und dann des ungezügelten Fahrspaßes.

Anhalten? Nee, nur zum Tanken oder Pinkeln. Biste mit der S ma so richtich am Faahn, willsse so schnell nich mehr runter von den Bock!

Der Interessierte bekommt neben den guten Fahreigenschaften saubere Verarbeigungsqualität mit umweltfreundlicher G-Kat-Technologie. Gut 22.000 DM sollte man dafür übrig haben. Doch seien sie versichert - die Sportkuh mit dem Doppelherz ist jede Mark wert.