BMW K 1200 R - Muskelprotz weiß-blau



Fahrbericht BMW K 1200 R

Text: Ralf Kistner
Fotos: Ralf Kistner, Gitte Schöllhorn, Gerhard Frühsammer


Endlich steht sie vor meiner Haustüre. Ich habe ihre Geschichte seit ihrem Erscheinen verfolgt. Und nach dem ausführlichen Test ihrer verkleideten Schwester war ich noch neugieriger. Martialisch im Aussehen steht sie vor meiner Garage und scheint nur darauf zu warten, endlich erweckt und losgelassen zu werden. Sie ist nackt und zeigt Muskeln, gewährt intime Einblicke, die dem Betrachter der BMW K 1200 S verwehrt sind.

Ich schlüpfe in meine Lederklamotten, streife den Helm drüber, starte, freue mich über den von der S-Schwester bekannten aggressiven Sound und drehe eine kleine Mittagsrunde über die Landstraßen rund um Dillingen. Die BMW K 1200 R scheint beim ersten Ausreiten zu halten, was sie auf den Fotos verspricht. Die ersten 50 km, weil ich eine längere Ausfahrt nicht abwarten kann. Eigentlich habe ich noch gar keine Zeit. Termine drängen mich wieder nach Hause ins Büro. Als ich am Spiegel vorbeilaufe, sehe ich ein anderes Gesicht darin. Es ist wieder dieses Grinsen, das ich den ganzen Tag nicht mehr los bekomme.

Aber stopp, erst Mal ein paar Worte zum Motorrad selbst. Auf den ersten Blick meint man, dass die K 1200 R nur eine K 1200 S ohne Verkleidung sei. Der erste Blick trügt nicht. Der zweite Blick in die technischen Daten verrät jedoch mehr. Der Lenkkopf steht mit 61° um 0,4° steiler. In Serie hat sie hinten einen 180er statt den breiten 190er Reifen montiert. Für mehr Druck aus unteren Drehzahlen ist sie mit 2,91:1 etwas kürzer in der Sekundärübersetzung. Und eine niedrigere Sitzbank (790 mm statt 820 mm) kann kostenlos geordert werden.

Die Scheinwerfer kennt man von der BMW R 1200 GS. Die Räder stammen von der R 1200 ST. Warum auch nicht. Schließlich kann man seitens der Bauteile aus einem vollen Baukasten schöpfen.

Die Nackte aus Bayern wirkt kantig, voller Elan und sehr puristisch. Ihre lang gestreckte Erscheinung bedingt der Radstand von sagenhaften 1,58 m und beschert ihr eine Gesamtlänge von 2,25 Metern.

Der Motor mit seiner stark nach vorne gekippten Zylinderbank ist die eigentliche Ursache der großen Baulänge, die aber das Handling nicht negativ beeinflusst. Aber dazu später.

Die Testmaschine erhalte ich mit einer umfangreichen Ausstattung:

Koffer, Tankrucksack, 6"-Sportfelge mit 190er Hinterreifen, teilintegrales ABS mit elektronischer Bremskraftunterstützung, ESA (Elektronische Fahrwerksverstellung), Sportscheibe, Gepäckbrücke.
Ich glaube, viel mehr kann man an den Streetfighter nicht mehr hinbauen. Damit ist er jedoch durchaus fernreisetauglich, was er auf einer Tour nach Südtirol und in die Dolomiten eindrücklich, jedoch mit einigen Abstrichen, unter Beweis stellt.

Fototermin. Wir treffen uns an einer kleinen Straße, wo ich Powerfotos machen lasse. Gerhard schießt sich ein und macht ein paar Fotos, wo die nackte R in Schräglage auf Zug gehalten beginnt, den heißen Hinterreifen abzurubbeln und schwarze Linien zu ziehen. Sie fühlt sich so stabil an wie ein Supersportler, zieht stoisch und ohne Zucken meine vorgegebene Bahn und verleiht ein unspektakulär sicheres Fahrgefühl.

Das Fahrwerk steht auf "Sport", der Standardeinstellung im flotten Betrieb. Mit dem breiten und etwas höheren Lenker habe ich die BMW satt im Griff. Das Handling ist fast schon spielerisch. Ich denke, mit dem 180er Reifen wird der Landstraßenspaß noch besser sein.

Wie bei der verkleideten Schwester schluckt der Duolever vorne so ziemlich alles an Unebenheiten weg, was die Straßen unserer geteerten Republik so hergeben. Ebenso fein arbeitet das hintere Federbein. Lediglich Querkanten gibt es hart ans Popometer weiter.



Das absolute K-1200-R-Feeling ist es jedoch, auf kleinen kurvigen Sträßlein mit einigermaßen hartem Gaseinsatz die wirklich große Schräglagenfreiheit auszukosten und den Fighter fliegen zu lassen. Dazu scheint er wie geschaffen zu sein. Hier kann man die 163 PS schon mal kurz rauslassen bis zur nächsten Kurve, immer im Vertrauen auf die satt verzögernden Bremsen.
Da stört auch der harte Gaseinsatz weniger als im langsam fließenden Verkehr, in Pässen oder im Stadtverkehr.
Für diese Situationen ist sie nicht gebaut worden. Langsames Fahren kann mit diesem Motorrad schon mal nervig werden. So ist man im Bereich bis 50 km/h im leichten Slalom unterwegs. Man macht im Allgemeinen den Lenkungsdämpfer dafür verantwortlich, der zu stramm eingestellt sein soll. Andererseits sollen auch Toleranzen im Lenkkopf dafür die Ursache sein. Nun gut, dann muss das eben geändert werden.

Ein weiterer Kritikpunkt findet sich in der wirklich harten Gasannahme und dem bei meiner Testmaschine heftigen Ruckeln im Schiebebetrieb in Drehzahlbereichen unterhalb der 3800 U/min. In diesen Genuss komme ich vor allem auf Passstraßen bergab, wenn ich z.B. am Stilfser Joch oder am Gavia hinter Wohnmobilen oder übervorsichtigen Autofahrern im ersten oder zweiten Gang hinterherfahren muss. Ich fühle mich im Schiebebetrieb wie auf einem alten Zweitakter, der mich bergab mit seinem nicht enden wollenden Rängtängtäng genauso durchschüttelte. Und wenn ich sanft ans Gas gehen möchte, schnellt die nackte Bajuwarin hart nach vorne, dass ich sie gleich wieder einfangen muss. Das macht nicht wirklich Spaß.

Ich gehe diesen Erscheinungen nach und frage mit durch. Wieder Toleranzen, diesmal in der Motorabstimmung, denn es gibt durchaus Maschinen, die diese Erscheinungen gar nicht zeigen. Von der verkleideten Testschwester kannte ich diese Erscheinungen auch nicht in den Schweizer Pässen.
Das sind für diese Preisklasse meiner Ansicht nach etwas viele Toleranzen.

Genug der Kritik! Vielleicht ist es gerade meine Maschine, die diese Erscheinungen so heftig zeigt. Ich bin weit weg davon, zu verallgemeinern. Ich denke nur, dass man als Käufer auf diese Dinge ruhig näher schauen sollte.

Ansonsten habe ich mit der nackten Wilden aus München richtig Spaß. Weitere Etappen lassen sich dank der angenehmen Sitzposition und des Sport-Windschildes ohne Ermüdungserscheinungen meistern. Die Koffer des eigenen Gepäcksystems sind die gleichen wie die der K 1200 S. Sie verstauen erstaunlich viel. Klasse dabei ihre variable Größe, die sich immer am Inhalt orientiert. BMW erlaubt mit den Koffern Geschwindigkeiten bis zu 180 km/h. Der Tankrucksack ist ebenso ein richtiges Raumwunder und ohne zusätzliche Außenhaut wasserdicht. Die 10 Stunden Regenfahrt am österreichischbayerischen Hochwasserwochenende stellte das eindrücklich unter Beweis. Leider ist das Einstecken einer Straßenkarte ins Kartenfach fummelig, da das Material die Karte beim Hineinschieben stark bremst bzw. nicht vorbeigleiten lässt.

Ein für mich unverzichtbares Zubehör stellt das elektronisch verstellbare Fahrwerk ESA dar. Dabei ist es für mich nicht nur eine Sache des Komforts, sondern auch der Sicherheit. So kann ich in Sekundenschnelle auf Veränderungen während des Fahrbetriebes reagieren und das Fahrwerk den aktuellen Gegebenheiten durch die Änderung der Dämpfung anpassen, was ich bei flotter Fahrweise häufig nutze. Genial, wie einfach es sein kann, auf unterschiedliche Straßenbeläge sekundenschnell zu reagieren. Und die Funktionen zeigen sich als äußerst effektiv und spürbar.
Die Federvorspannung verstelle ich im Stand bei laufendem Motor und spüre, wie in ca. 3-5 Sekunden das Fahrzeug gehoben oder gesenkt wird. Ideal, wenn ich mal mit, mal ohne Sozia unterwegs bin. Das nenne ich echten Fortschritt mit Wirkung.



Wieder bin ich unterwegs. Diesmal auf meinen Hausstrecken. Und wieder habe ich mit der Nackten richtig Spaß. Es ist toll, das lauernde Leistungspotenzial zu spüren, das, mal richtig rausgelassen, im Durchzugs- und Beschleunigungsgefühl an Supersportler vom Schlage einer ZX 10 erinnert. Mit Recht. Nach 2,9 Sekunden passiert die Nadel des analogen Tachos die 100er Marke, ein Lidschlag weiter geht sie nach insgesamt 8,5 Sekunden über die 200 und hört erst nach der 260er Marke auf zu wandern. Vorsicht! Es besteht die Gefahr eines Geschwindigkeitsrausches aufgrund des immer stabilen Fahrwerkes und des leichten Handlings. Das können Erlebnisse werden, die sich nachhaltig in die Erinnerung einbrennen in der Schublade "Maximaler Fahrspaß". Apropos einbrennen. Nach einer flotten Landstraßenhatz überrascht mit in der Dämmerung ein hellrot glühendes Auspuffinnenrohr. Sowas habe ich bis dato noch nicht gesehen.

Der lange Radstand verhindert unabsichtliche Wheelies beim Auskosten der maximalen Beschleunigung in den unteren Gängen, wobei im zweiten Gang ein leichter Zug das Vorderrad schon leicht werden lassen kann. Auch kein Problem, denn der Lenkungsdämpfer leistet ganze Arbeit und lässt den Lenker nur leicht wackeln - weit weg von einem ausgewachsenen Shimmyeffekt.

Um das Tempo zu vernichten, packen die bremskraftunterstützten Stopper vorne und hinten kombiniert derart zu, dass es mir schon mal die Stirnadern nach vorne drückt. Bisher nahm ich an, dass diese Verzögerungswerte nur von Modelle mit elektronischer Bremskraftunterstützung leisten können. Ich werde eines Besseren belehrt, als ich für eine Vergleichsfahrt eine BMW K 1200 R mit klassischer Bremsanlage ohne unterstützende Funktionen erhalte. Die Überraschung folgt prompt. Ich kann auf trockener Straße bei einem Bremstest ähnlich kurze Bremswege erzielen wie mit dem bremskraftunterstützten Modell.
Die eindeutigen Vorteile der klassischen Bremse liegen jedoch in einer sauberen und für den alltäglichen Fahrbetrieb durchaus vorteilhafteren Dosierbarkeit der Bremskraft - und dass ich mein Leben nicht einem elektronischen Bauteil übergebe. Ich weiß, dass dies immer wieder für Diskussionen sorgt. Gerade deswegen weise ich darauf hin. Schließlich hat es am Ende doch jeder Käufer selbst in der Hand, zu entscheiden, welche Ausstattung er wählt.

Fazit:
Glücklicherweise erhält er in jedem Fall eine BMW K 1200 R, eine potente, fast perfekte Fahrmaschine mit eingebautem Spaß- und Individualitätsfaktor, hohem Aufmerksamkeitswert und gut durchschnittlicher Alltags- und Tourentauglichkeit bei einem Benzinverbrauch von ca. 6,2 Litern in Durchschnitt. Überdurchschnittlich ist der Reifenverzehr, wenn man das Potenzial des Motors öfter nutzt. Man hat es so selbst in der rechten Hand, ob man nach bereits nach 1000 km oder erst nach 3500 gefahrenen Kilometern zum Wechsel des Hinterreifens vorstellig werden muss. Leistung hat seinen Preis …