BMW F 800 S - Mittelklasse Einsteiger



Fahrbericht BMW F 800 S

Text: Ralf Kistner
Fotos: Ralf Kistner, Profifotograf Klaus Geldner (www.das-besondere-portrait.de)



Das aus Bayern Innovationen kommen, ist weltweit bekannt. Dass sich auch BMW im Motorradbau am Innovationsschub beteiligt, wissen wir auch. Dass nicht alle Innovationen ein Schritt nach vorne bedeuten müssen, ist ebenfalls hinlänglich bekannt. Dass die nächste Innovation aus dem Hause BMW eher eine Mischung aus traditionellem Motorradbau und neuen Patenten darstellt, wissen wir, seit es das Modell F 800 S auf dem Markt gibt.

Die Maschine empfand ich beim ersten Anschauen auf der Wheeliesmesse in Schwäbisch Hall als unauffällig. Homogen im Gesamteindruck, jedoch ohne besondere Auffälligkeiten beim ersten flüchtigen Blick. Der zweite Blick offenbarte den Zahnriemenantrieb - bekannt aus der BMW F 650 Scarver. Eine massive Alu-Einarmschwinge, eine konventionelle Telegabel und ein stabiler Alu-Brückenrahmen sind ebenfalls millionenfach bewährte konventionelle Merkmale im Motorradbau. Auch die herkömmliche Bremsanlage offenbart, außer dem Zweikanal-ABS, nichts Besonderes. Das kann es doch nicht sein. Ein neues Modell von BMW und nur alt Bewährtes…?

Nein. Da wäre zum Beispiel der 798er Paralleltwin. Auch eine bekannte Variante eines Zweizylinders. Jedoch entzog man dem Twin seine Vibrationen, indem ein über einen Exzenter angetriebenes Gelenksystem, das mittig auf der Kurbelwelle sitzt und um 180° zu den Pleueln versetzt angebracht und über eine nahezu waagerechte lange Schwinge geführt den Massen des Kurbeltriebs entgegenwirkt. Es erreicht die Eliminierung der Massekräfte erster und zweiter Ordnung und sorgt somit für einen vibrationsarmen Motorlauf ohne mechanische Zusatzgeräusche. Die Testfahrten zeigen, dass das Prinzip wirkt.

Nicht unbedingt üblich auch die Motorschmierung. So nutzt der Ölkreislauf der Semi-Trockensumpfschmierung die Ölwanne als Reservoir, sammelt abtropfendes Öl jedoch in einem zwischengelagerten Schacht, von wo aus das Öl zum Getriebe gepumpt wird.

Die Saugrohr-Einspritzanlage regelt die erforderliche Benzinmenge nicht nur über die Einspritzdauer, sondern auch über den Einspritzdruck. Der so gesparte Rücklauf verringert den Stromverbrauch.

Der reibungsarme Ventiltrieb der Vierventil-Zylinderköpfe über Schlepphebel erlaubt Kontrollintervalle von 20.000 km.

Der wartungsarme Zahnriemenantrieb reiht sich hier ebenso in den Reigen der Neuerungen ein. Zwar ist er bereits in unzähligen Exemplaren amerikanischen Motorradbaus integriert, doch wurde die Kombination mit einer Einarmschwinge bisher meines Wissens lediglich in der BMW F 650 Scarver verwirklicht.

Es versteht sich von selbst, dass die Mittelklasse-Bajuwarin mit geregeltem Kat die EURO-3-Norm erfüllt.

Die meisten Serienmodelle werden reifenseitig mit dem Conti Sport Attack ausgeliefert. Meine Maschine erhalte ich mit dem Bridgestone BT 014. Und die Kleine wartet mit einem massiven 180er Hinterreifen auf. Die Felgen wirken im Design wie die der BMW R 1200 S.

Ich bin gespannt, wie sich die "Kleine" fahren lassen wird. Beim Aufsitzen gefallen die durchdachte Ergonomie und die relaxt-sportliche Sitzposition. Ich sitze auf einem gut gepolsterten Platz. Der schmale Übergang zur Tankattrappe ermöglicht einen präzisen Knieschluss. Die Lenkerenden lassen mich nicht zu weit nach vorne fallen, die Kniewinkel bleiben bei leicht zurückversetzten Fußrasten tourentauglich.

Die Spiegelflächen lassen mir ca. 70% Rücksicht, der Rest ermöglicht mir die Kontrolle meiner Ellenbogenschützer. Informationen im Überfluss liefert das vollständige Cockpit mit analogem Tacho und Drehzahlmesser und dem optionalen Bordcomputer.

Dann kann es ja losgehen. Ich möchte in den Tank schauen und finde den Tankdeckel rechts hinten neben der Sitzbank - wie bei den F-650-Modellen. Der Kunststofftank wurde schwerpunktgünstig mittig verbaut.

Der Druck auf den Startknopf erweckt das neue BMW-Aggregat spontan. Er läuft absolut gleichmäßig im Leerlauf und nimmt bei kurzen Gasstößen sofort und ohne Verschlucken das Gas an.
Ich male mir aus, wie ich nun mit der F 800 mit hochdrehendem Motor über meine netten Testrouten fegen werde. Hochdrehend, da ja 85 PS und 86 NM keine unbedingten Topwerte darstellen im Vergleich zu den PS-Giganten, die ich dieses Jahr bereits zu zähmen hatte.

Alles läuft leicht, fast spielerisch. Alle Bedienelemente lassen sich direkt, präzise und leichtgängig betätigen. Genauso reagiert der Twin. Beim Anfahren überrascht er mich schon mit einem satten Drehmoment, dass ich kaum Gas zu geben brauche, um ordentlich vom Fleck zu kommen. Ich fühle mich ab dem ersten Moment wohl auf diesem Motorrad. Und es überrascht mich immer mehr.

Beim Fotoshooting mit dem Fotografen Klaus Geldner, der das Fotostudio "Das besondere Portrait" (www.das-besondere-portrait.de) betreibt, ist auch er überrascht, als ich mich auf dem kurzen Streckenstück warmfahre. Ich lasse die F 800 S richtig abgehen, lasse das Vorderrad steigen, drehe sie hoch und werfe sie in die Fotokurven. Klaus meint, dass die Maschine einiges über 100 PS haben müsste, so wie sie aus seiner Betrachtung vom Streckenrand heraus abgeht. Und er kann es kaum glauben, dass es sich hier gerade mal um 85 PS handelt. Der wichtigere Wert sind allerdings die angegebenen 86 NM Drehmoment, die bereits bei 5800 U/min anliegen und für satte Beschleunigungswerte sorgen.

Nach der Fotosession sind die Reifen richtig eingefahren. Ich giere nach Auslauf. Doch die Dunkelheit senkt sich mit feinen Nebelschwaden über das Land. Den Auslauf muss ich verschieben und begebe mich auf die Heimfahrt. Mir gefällt wieder dieses spielerisch-leichte Handling. Alles scheint wie von selbst, fast schon nebensächlich zu passieren. Gebe ich Gas, nimmt der Twin dieses sofort in jedem Drehzahlbereich an und zeigt seine eindeutige Ausrichtung: das Stürmen zum Drehzahlbegrenzer. Der von Rotax stammende Zweizylinder überzeugt mich durch seine Geradlinigkeit und lineare Leistungsabgabe, die ich so bisher nur von einer KTM Superduke 990 herkannte. Spürbares Leistungsloch? Fehlanzeige. Einfach immer nur stürmen, so, wie ich es möchte. Oder aber sanft dahingleiten oder im Verkehr mitschwimmen. Die kaum wahrnehmbaren Lastwechselreaktionen lassen alle Gangarten zum selbstverständlichen Genuss werden. Vibrationen gibt es keine. Genial, der Motor wirkt wie entkoppelt.

Die Dunkelfahrt erfordert allerdings erhöhte Aufmerksamkeit. Das Licht könnte besser sein. Die Fahrbahnausleuchtung ist hell, aber schmal, das Fernlicht eher ein diffuser Kreis am Ende des Abblendlichtkegels als eine echte Fahrbahnausleuchtung. Schade, das passt für mich nicht zu diesem Allrounder.

Endlich kann ich die F 800 nach Lust und Laune fahren. Spätherbst 2006. Milde Temperaturen, trockene saubere Straßen. Die Ernten sind alle eingefahren. Die meisten Äcker bereits winterfertig. Ich muss kaum mehr mit landwirtschaftlichen Fahrzeugen rechnen. Genial!

Ich habe für die Tour die beiden variablen Koffer angebracht, die ich von der K 1200 S herkenne. Sie wirken wie Schminktäschchen und lassen sich zu wahren Raumwundern ausbreiten, sodass sogar mein Schuberth C2 nebst einiger Kleinigkeiten darin ohne Probleme Platz finden. Meine Tour führt mich über die bekannten Sträßchen hinüber in die Hersbrucker Schweiz. Eine geniale Strecke für diesen Tag. Touristisch bewege ich mich in Richtung Weißenburg. Ich fühle mich gut windgeschützt bis zum Helm. Einige Touretappen nehme ich im Tiefflug. Wieder überrascht mich die F 800 S, behält sie stoisch wie eine Sportmaschine meine vorgegebene Linie und wirkt in jedem Moment stabil. Harte Bremsaktionen meistert sie ebenso spielerisch wie alles andere, was ich mit ihr anstelle. Die 320er Bremsscheiben geben den Vierkolben-Zangen genug Angriffsfläche, um die F 800 immer - satt oder fein dosiert - sicher zum Stand zu bringen. Dabei regelt das neue Zweikanal-ABS sehr spät und lässt den Vorderreifen manchmal um Gnade winseln.

Allerdings kann es auch passieren, dass die Bremswirkung vorne kurz nachlässt, wenn ich beim Herunterschalten das Hinterrad kurz blockieren lasse. Das ABS interpretiert diesen Zustand als drohenden Stoppie und reagiert mit einem Öffnen der vorderen Bremse - eigenartig und höchst gewöhnungsbedürftig. Man drückt am Hebel dann gegen einen Widerstand und wundert sich, warum die Bremse loslässt.
Ansonsten verrichtet das ABS seine Arbeit zufriedenstellend mit relativ kleinen Regelintervallen.

Störend empfinde ich das sehr große Spiel auf der Antriebsseite. Spürbar beim Gaswegnehmen und plötzlichem Gasgeben. Da tut es manchmal richtig kleine Schläge und trübt für den Moment das wirklich gute Bild der F 800 S. Auch im Gleiten durch Ortschaften oder in 60-/70-/80er-Zonen kann das Spiel nervig werden. Feines, kaum wahrnehmbares Konstantfahrruckeln überträgt sich auf den Antriebsstrang, der diese sonst sicher gar nicht wahrnehmbaren Ruckler über das Getriebespiel hörbar macht.

Das war es dann auch mit dem Testermeckern. Auf allen meinen Fahrten habe ich maximalen Genuss und verblüffend viel Spaß. Ich hätte nicht gedacht, dass mir ein Motorrad dieser Leistungsklasse genügen könnte für etwas gehobeneren Ansprüche, was Schub, Fahrwerk und Bremsen anbelangt. Dass die F 800 je nach Fahrweise sich mit 4,8 - 6,2 Litern Super begnügt, rundet das Bild für mich nur noch weiter ab. Schließlich habe ich sie an einigen Tagen auch richtig drehen lassen, ohne dass sie mir dafür an der Tankstelle eine pralle Rechnung präsentierte.

Fazit:
Der Einstieg in die Mittelklasse ist mit der BMW F 800 S gelungen. Auf Anhieb stellten die Münchner Rundrum-Spaß-Genuss-Tour-Bike auf die Beine. Alles wirkt spielerisch - Handling, Bedienung und Motorcharakteristik. Der wartungsarme Zahnriemenantrieb, die langen Ventileinstellintervalle, der sparsame Spritverbrauch sind ideale Voraussetzungen für langen Fahrspaß mit wenig Inspektionsaufenthalten. Die getriebeseitigen Unzulänglichkeiten trüben allerdings das äußerst positive Gesamtbild.