Aprilia RSV4 1000 R - Sport pur



Fahrbericht Aprilia RSV 4 1000 R
(Stand: 04/2010)

Text: Ralf Kistner
Fotos: Ralf Kistner, M. Kätker


Aprilia hat lange auf sich warten lassen, bis ein neu entwickelter Rennsportler reinster Natur präsentiert wurde. Ende 2008 wurde es dann öffentlich, dass es eine Serienversion des V4-Sportler geben soll, der in der Superbike-WM bereits für Furore sorgte.

Ich bekam die RSV Factory erstmals auf der IMOT 2009 in München zu sehen. Und ich war begeistert über das Design. Die Maschine wirkt in sich rund und vor allem äußerst kompakt. Eine klare Botschaft steckt im Design: made for race. Alles ist darauf zugeschnitten, wirklich schnell zu sein. Und befeuert wird dieses Sportgerät mit einem nagelneu entwickelten V4-Motor.

Zum Testen erhalte ich die „normale“ Aprilia RSV4 R von Motorrad Dürr in Kleinerdlingen bei Nördlingen (www.motrrad-duerr.de). Sie kann dort – wie auch viele andere Modelle – Probegefahren werden.

Leider brachen bei dieser Version bei der offiziellen Erstvorstellung auf der Rennstrecke von Mugello an fünf Motoren die Pleuel. Das war ein Schock. Doch versichert mir Oliver Dürr, dass seine bis zum Testzeitpunkt bereits 7 verkauften RSV4 allesamt im Rahmen eines Rückrufs neue Motoren erhielten und das Problem nicht mehr auftritt.

Ich erklimme die Sportsitzbank. Wie erwartet muss ich mich sportlich zusammenfalten. Jedoch empfinde ich die Sitzposition nicht als extrem. Ich komme gut damit trotz Waschbärbauch zurecht.

Als Sonderausstattung ersetzte Oliver den voluminös gestalteten Endschalldämpfer mit einer Akrapovic-Anlage, die sich zierlicher ins Gesamtbild einfügt.

Das Design empfinde ich als einzigartig gelungen. Selten schafften Motorradbauer es, ein Motorrad derart kompakt zu gestalten - trotz der implementierten Technik auf höchstem Niveau. Die „R“ ist wie die Factory als Ein-Mann-Bike konzipiert. Zwar kann ein Sitzpolster für eine Sozia montiert werden, doch muss Zuneigung und das Verlangen nach dem gemeinsamen Ritt mit dem Fahrer schon fast neurotisch sein, um die Leiden auf sich zu nehmen.

Die Entwickler schafften es, einen Rahmen von knapp über 10 kg Gewicht zu konzipieren. Darin fügt sich der ultrakompakte V4 mit 65° Zylinderwinkel weit vorne ein. Gleich dahinter findet der 17-Liter-Tank Platz. Rahmen und Schwinge erstrahlen in poliertem Aluminium. Von Aprilia gewohnt findet man Schweißnähte wie aus dem Lehrbuch.
Überall finde ich ergonomische Feinheiten wie verstellbare Schalt- bzw. Fußbremshebel. Auch die Linienführung der Verkleidung sowie des Hecks fallen einzigartig aus und erinnern an den Flugzeugbau.

Ich muss noch vorherschicken, dass ich die Fahrten für diesen Fahrbericht ausschließlich auf der Landstraße durchführe, obwohl die RSV4 vor allem auch auf der Rennstrecke gefahren werden sollte bei ihren Qualitäten.

Nach kurzer Einweisung verlasse ich den Hof von Motorrad Dürr und lenke die RSV in Richtung Christgarten. Ein ideales Terrain, um mich mit ihr bekannt zu machen. Wie die Factory wartet die R-Variante mit 3 über den Startknopf einstellbaren Mappings auf. Ich entscheide mich für „Track“. Da ist alles offen und es geht kräftig zur Sache.
Im Kombiinstrument bekomme ich alle Informationen für den Sportbetrieb angezeigt. Die unterschiedlichen Anzeigemodi rufe ich mit dem linken Daumen am Lenkerstummel ab.

Es vergeht kaum Zeit, bis ich nach einigen Kilometern das Gefühl habe, dass die Aprilia und ich Freunde werden. Nach den Windungen bei Christgarten habe ich verstanden, dass sie zum Einlenken nicht vielmehr als einen kurzen Lenkimpuls benötigt. Und in den Kurvenkombinationen dort draußen überzeugt sich mich sehr schnell von ihrem leichten und präzisen Handling. Ich kann mich nicht erinnern, einen Supersportler ähnlich einfach durch enge Kurven getrieben zu haben. Zudem glänzt sie mit absoluter Stabilität.

Jetzt stelle man sich noch die sonore bullige Klangkullisse des Akrapovic-Auspuffs vor, die mich die ganze Zeit begleitet. Die Airbox untermalt das Klanggeschehen mit dumpfem Ansaugröcheln. Und nun stelle man sich vor, engagierter leidenschaftlicher Biker wie ich zu sein. Es taucht schnell die Frage auf, wohin mit den ganzen „Boahhs“ und „Woows“, die ich in meinen Helm zunehmend lauter vor Begeisterung rufe. Es ist die Frage nach Maßregelung, denn die STVO sitzt im Genick und mahnt stets zur Zurückhaltung. Oh zwei Seelen pochen in meiner Brust ….

Aprilia hat es geschafft, den Schwerpunkt ideal zu platzieren. Die Fahrwerksgeometrie unterstützt das Handling ebenso wie die Metzeler Sportreifen Racetec Interact K3. Letztere bieten ein hohes Gripniveau, sodass man die Möglichkeiten der RSV4 1000 R auf der Landstraße gefahrlos ausschöpfen kann.

Ich halte auf dem Parkplatz kurz vor dem Fotoshooting an und laufe um die Maschine. Im Vergleich zur 20000 Euro kostenden Factory sind bei der „abgespeckten“ 15500 Euro kostendendeb R-Version statt dem Öhlinsfederbein ein Sachsfederbein (mit gleicher Federrate aber weicheren Dämpfung) und statt der Öhlinsgabel eine 43erShowagabel (mit weicherer Feder) verbaut. Die Schmiederäder bringen im Vergleich jeweils 500 g Mehrgewicht mit.

Zum Shooting fahre ich die gleiche Strecke immer wieder hinauf und hinunter. Die Reifen werden satt warm. Das ist fast wie Rennstrecke fahren. Kräftig ans Gas, hart einbremsen, Schräglage, hart rausbeschleunigen.
Auf der Shootingstrecke gibt es eine Kehre. Hier stören mich die ruppigen Lastwechsel, würde mir das Prozedere sanfter wünschen. Ansonsten gibt es nicht zu meckern. Die Bremsen werden zunehmend bissiger, je heißer sie sind. Der Druckpunkt wandert dabei nur ganz leicht. Exakt kann ich meine Bremspunkte setzen, zuletzt immer später. Die mächtigen Brembo-Vierkolben-Sättel benötigen selten mehr als 2 Finger. Sie glänzen sowohl durch sehr feine Dosierbarkeit als auch durch vehemente Verzögerungsleistung. Das schafft maximales Vertrauen.

Die Gabel erledigt ihre Schwerarbeit ohne Beanstandung. Auch das Heck, das ich vor allem in der Zugstufe anpasse, arbeitet vorzüglich.

Der V4 überzeugt auf der Teststrecke vor allem mit Druck in allen Drehzahlbereichen. Ab 2500 U/min läuft er absolut sauber, ab 5000 U/min drückt er bereits, wie wenn er gejagt wird. Ab 10000 U/min hämmert er nochmals los und rennt wie wild geworden in den Begrenzer. Dabei hängt er sehr direkt am Gas. Trotz dieser Leistungsentfaltung habe ich in keinem Moment das Gefühl, von Leistungsattacken überrascht zu werden – auch ein Aspekt, der Sporteln mit der ApriliaRSV4R ohne überflüssige Adrenalinschübe ermöglicht.

Auf der Strecke kann ich druckvoll aus der Kurve rausbeschleunigen, mächtig Angasen (das Vorderrad hebt gerne ab) oder es auch langsam angehen lassen. Letzteres ermöglicht einen relativ entspannten Alltagsbetrieb, denn die RSV4R wird sicher meist im normalen Straßenverkehr bewegt werden.

Fazit:
Die Aprilia RSV4 1000 R wirkt in der Sparte der Supersportler wie ein Unikat. Das Design, aber auch das Motorenkonzept unterstreichen ihre Einzigartigkeit. Herausragend empfinde ich das viel beschriebene ultraleichte und präzise Handling. Da ist nichts übertrieben! Der Motor steht sehr gut im Futter und überzeugt als genialer Spaßmacher. Die RSV4 1000 R bietet Leistung satt - und dazu noch donnernden volumigen V4-Sound, der Emotionen und Leidenschaft weckt.